EC2U Science Battle 2022 Erdball

Jena als Begegnungsort der deutschen und japanischen Rechtswissenschaft: 

Zu Toyowo Ōgushis Vision eines japanischen Totalstaates deutscher Färbung
EC2U Science Battle 2022 Erdball
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)
Veranstaltungseckdaten
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Beginn
Ende
Veranstaltungsart
Vortrag
Ort
Carl-Zeiß-Straße 3, Sitzungssaal der Rechtwissenschaftlichen Fakultät (Raum 2.43)
07743 Jena
Google Maps – LageplanExterner Link
Referent/in
Prof. Dr. Hajime Konno, Department of European Studies, Aichi Prefectural University, Japan
Veranstalter
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtsphilosophie
Veranstaltungssprachen
Deutsch
Englisch
Barrierefreier Zugang
ja
Öffentlich
ja

Jena als Begegnungsort der deutschen und japanischen Rechtswissenschaft:
Zu Toyowo Ōgushis Vision eines japanischen Totalstaates deutscher Färbung.
                                                                                  
                                                                                   Hajime KONNO (Universität der Präfektur Aichi)

Toyowo ŌGUSHI (1903-1967) war ein japanischer Staatsrechtler und Beamter im japanischen Kultusministerium, das für die theoretische Rechtfertigung des totalen Krieges während des chinesisch-japanischen und des angelsächsisch-japanischen Krieges verantwortlich war. In seinem berühmten Artikel „Die Logik und Psychologie des Supernationalismus“ (1946) kritisierte Masao MARUYAMA (1914-1996: Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tokio), einer der liberalen Wortführer der japanischen Nachkriegsdemokratie, die Propagandaschrift des Kultusministeriums „Shimmin no michi“ [Der Weg der Untertanen] und sah darin den Charakter des „Supernationalismus“, der keine unabhängigen Individuen duldet. Dieser „Shimmin no michi“ war ein Dokument, das 1941 vom Büro für Bildungsangelegenheiten des Kultusministeriums, dem ŌGUSHI angehörte, während des Dritten Kabinetts KONOE veröffentlicht wurde, und zu dem ŌGUSHI und seine Kollegen Kommentare verfassten.

1903 in Osaka geboren, besuchte Toyowo ŌGUSHI die Fünfte Oberschule in Kumamoto und studierte an der juristischen Fakultät der Kaiserlichen Universität Tokio bei Prof. Shinkichi UESUGI (1878-1929) das monarchistische Verständnis der Großjapanischen Reichsverfassung. Zugleich wurde er Mitglied der „Shichiseisha“, einer Studentenorganisation, die UESUGI unterstützte. Nach dem Abbruch seines Postgraduiertenstudiums studierte ŌGUSHI an der Universität Jena, wo er von 1928 bis 1933 blieb, ohne zu promovieren. ŌGUSHIs Studium in Jena unterstützte vor allem die Familie Eucken. Nach seiner Rückkehr nach Japan wurde ŌGUSHI nicht Universitätsprofessor, sondern setzte seine Forschung am Institut für die Kultur des Nationalgeistes im Kultusministerium fort. Als Japan auf den Krieg zwischen den USA und Japan zusteuerte, übernahm ŌGUSHI die Rolle eines theoretischen Impulsgebers für Japans totalitäres System. ŌGUSHI schloss sich von Seiten des Kultusministeriums der Bewegung zur Beseitigung von Tatsukichi MINOBE (1873-1948), einem liberalen Gegner seines ehemaligen konservativen Lehrers Shinkichi UESUGI, an und widmete sich dem Aufbau einer Theorie des totalen Kriegssystems, in dessen Mittelpunkt der Kaiser stand.

Toyowo ŌGUSHI hat seine japanische Staatsauffassung während seines Studiums in Deutschland, vor allem hier in Jena, entwickelt. Während seiner Zeit an der Kaiserlichen Universität Tokio hat ŌGUSHI keine einzige wissenschaftliche Arbeit hinterlassen. Damals wurde die Verfassungsrechtslehre an der juristischen Fakultät der Kaiserlichen Universität Tokio immer liberaler, und Georg JELLINEK und Hans KELSEN wurden von der MINOBE-Schule gerne importiert, während die konservative Verfassungsrechtslehre der UESUGI-Schule unterlegen war. Nach seiner Ankunft in Deutschland wurde ŌGUSHI jedoch auf die Existenz einer neuen deutschen konservativen Staatsrechtslehre aufmerksam. Es waren die Werke von Rudolf SMEND, Carl SCHMITT und Otto KOELLREUTTER, die ŌGUSHIs Aufmerksamkeit erregten. ŌGUSHIs erste Veröffentlichung war kein Artikel, sondern eine gekürzte Übersetzung von Carl SCHMITTs Werk „Politische Theologie“, die in der Gedenkschrift für seinen Lehrer UESUGI (1930) erschien. ŌGUSHI studierte bei Professor Otto KOELLREUTTER an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena, der mit der Weimarer Republik immer unzufriedener wurde, und veröffentlichte 1931 im von KOELLREUTTER herausgegebenen „Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart“, seinen ersten Aufsatz „Die Entwicklung des japanischen Konstitutionalismus seit dem Weltkriege“. ŌGUSHI veröffentlichte dann 1933 eine längere rechtsphilosophische Abhandlung, „Die Staatsautorität im sozialen Sein“, im „Archiv des öffentlichen Rechts“, in der er den Begriff der Autorität von Carl SCHMITT und Harold LASKI adaptierte und ein japanisches Staatsmodell mit der kaiserlichen Autorität als globales Vorbild präsentierte. Im Gegensatz zu MINOBE, der liberale Rechtstheorien aus dem deutschsprachigen Raum als die weltweit anerkannten Theorien importierte, versuchte ŌGUSHI damit, von deutschen konservativen Rechtstheorien zu lernen und mit diesen Kenntnissen eine japanisch-nationale Rechtslehre zu begründen. In Jena führte ŌGUSHI einen Dialog mit SCHMITT, der ihn besuchte, und sie korrespondierten weiterhin miteinander.

Nach seiner Rückkehr nach Japan und seiner Anstellung als Bürokrat im Kultusministerium setzte sich Toyowo ŌGUSHI für den deutsch-japanischen Kulturaustausch ein und lud seinen ehemaligen Lehrer KOELLREUTTER als Austauschprofessor nach Japan ein, wo er als Dolmetscher für dessen Vorlesungen fungierte. Obwohl ŌGUSHI nationalsozialistische Rechtslehre in Japan vorstellte, wollte er selbst nicht als Anhänger der nationalsozialistischen Rechtslehre angesehen werden.

Nach der Niederlage Japans wurde Toyowo ŌGUSHI einige Jahre aus öffentlichen Ämtern verbannt und wurde nach dem Ende der US-Besatzung Professor und Rektor einer privaten Universität in Nagoya. Durch die Vermittlung von Gerhard Leibholz veröffentlichte ŌGUSHI 1956 im „Archiv des öffentlichen Rechts“ einen deutschsprachigen Artikel „Die japanische Verfassung vom 3. November 1946“, in dem er die japanische Verfassung, die während der US-Besatzung in Kraft getreten war, als Aufzwingung einer protestantischen Weltanschauung durch die USA und als Hindernis für die japanische Souveränität scharf kritisierte. In seinen letzten Jahren wollte ŌGUSHI Deutschland, wo er studiert hatte, wiedersehen und besuchte 1966 die Bundesrepublik Deutschland, wo er alte Freundschaften mit KOELLREUTTER und SCHMITT erneuerte. Zu dieser Zeit wollte OGUCHI Jena, wo er studiert hatte, wiedersehen und wagte trotz des großen Widerstands von KOELLREUTTER und SCHMITT, nach Ostdeutschland zu reisen. ŌGUSHI wurde in der Tat von der DDR-Regierung freundlich empfangen, besuchte Jena und nahm an Veranstaltungen in Weimar teil. ŌGUSHI starb kurz darauf, im Jahr 1967 in seinem Haus in Fujisawa.

Der Vortrag folgt dem ungewöhnlichen Leben von Toyowo ŌGUSHI und beleuchtet die Verflechtung der japanischen und deutschen Rechtswissenschaft, insbesondere hier in Jena.