Im kommenden Sommersemester 2024 werde ich ein Seminar zum Thema:
Körper, Gefühle und Erzählungen in Recht und Staat
anbieten.
Recht und Staat verhalten sich nicht nur äußerlich zu Körpern, indem sie diese Regelungen unterwerfen, sondern bilden selbst Körper, die in ihrem Inneren weitere Rechtskörper ausformen: Bereits in der Antike wurde der Staat metaphorisch als ein Organismus begriffen, später existierte die Vorstellung von den zwei Körpern des Königs (einem sterblichem wie einem unsterblichem) sowie die eines Staats als eines aus einzelnen Menschen zusammengesetzten Körpers (Hobbesʼ Leviathan), bis sich im 19. Jahrhundert ein Verständnis vom Staat als juristischer Person in Form einer Körperschaft durchgesetzt hat.
Die Bezugnahme des Rechts auf menschliche Körper und die damit zusammenhängende Objektivierung reicht von Foucaults Biomacht und Agambens Homo sacer zu aktuellen Debatten zum Sexualstrafrecht, der Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie von Sexarbeit/Prostitution, in denen insbesondere die Objektivierung weiblicher Körper problematisiert wird.
Weiterhin beruhen Recht und Staat auf Gefühlen und Erzählungen, die sie nicht zuletzt auch legitimieren. Unterschiedliche Rechtsgefühle bzw. Gerechtigkeitsempfindungen konfligieren dabei nicht nur miteinander, sondern auch mit der vermeintlichen rechtlichen und staatlichen Objektivität. Neben Gerechtigkeitsgefühlen und aus der Erfahrung mit dem Recht entstandenem juristischen Urteilsvermögen deckt eine Auseinandersetzung mit Gefühlen im Recht die Themenbereiche Einstellungen zum Recht, Rechtsbewusstsein, Vor- und Selbstverständnisse und schließlich die rechtliche Bezugnahme auf Identitäten ab, welche gleichzeitig vom und vor dem Recht geschützt werden müssen.
Es stellt sich die Frage, welche Rolle individuelle Befindlichkeiten, Emotionen und Einstellungen für den Erhalt und Bestand sowie die Kritik und Fortentwicklung des Rechts spielen. Kann das immer wieder beschworene Rechtsgefühl als Grundlage für die Bildung kollektiver Rechtskörper und -ordnungen gelten?
Schließlich widmet sich das Seminar den großen Erzählungen über Recht und Staat. Auf die antike Vorstellung von Recht als Gottesgeschenk folgte etwa bereits im Altertum die eines Gesellschaftsvertrages als Grundlage des Staates und seiner Rechtsordnung. Im Zuge von Debatten um Migration wird zudem die Metapher des Staats als Familie bemüht und in internationalen Konflikten wird das Recht in erster Linie als Gerechtigkeits- und Friedensordnung verstanden. Auf verfassungsrechtlicher Ebene werden Vorstellungen des Rechts durch Konstrukte wie Invisibilität, Neutralität, objektive Dritte, die Ewigkeitsklausel sowie die Unantastbarkeit der Menschenwürde geprägt. Welche Bedeutung haben diese Motive für Recht und Staat? Kann man von einer rechtlichen Ikonographie sprechen?
Das Thema Erzählungen ermöglicht zudem Übergänge in eine literarische Verhandlung, wie sie sich etwa in Kafkas Prozess findet.
Es handelt sich um ein Blockseminar, dem einzelne Veranstaltungstermine während des Semesters vorangehen. Das Seminar gibt Gelegenheit, neben Übungsseminararbeiten auch Wissenschaftliche Arbeiten in den Schwerpunktbereichen 1, 4 und 6 zu verfassen. Referate können auch über einschlägige Werke verfasst werden, in der Art eines Literaturberichts oder einer Rezension. Literaturhinweise und Terminfestlegung erfolgen in der Vorbesprechung. Eine Einführungssitzung findet am 4. April von 16-18 Uhr im SR 317, CZS 3 statt.
Bitte melden Sie sich bei Interesse per E-Mail unter tim.niendorf@uni-jena.de und anschließend in Friedolin für die Veranstaltung an. Anmeldungen für die Wissenschaftlichen Arbeiten müssen bis zum 29. Februar 2024 erfolgen.
Die Anmeldung für Übungsseminararbeiten ist auch nach dem 29.02.2024 möglich.
Studierende, die ihre Wissenschaftliche Arbeit im Seminar schreiben, erhalten nach der Anmeldung ein Formular, das ausgefüllt per E-Mail zusammen mit einer eingescannten Datei des Übungsseminarscheins zurückzuschicken ist.
Einstiegsliteratur:
Berger, Christian/Frey, Michael/Priesemuth, Florian (Hrsg.), Rechte des Körpers, Juristische, philosophische und theologische Perspektiven, 2022.
Diehl, Paula (Hrsg.), Performanz des Rechts, Inszenierung und Diskurs, 2006.
Fögen, Marie Theres, Römische Rechtsgeschichten, Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, 2002.
Keiser, Thorsten/Olson, Greta/ Reimer, Franz (Hrsg.): Feelings about Law/Justice. Rechtsgefühle: The Relevance of Affect to the Development of Law in Pluralistic Legal Cultures. Die Relevanz des Affektiven für die Rechtsentwicklung in pluralen Rechtskulturen, 2023.
Kantorowicz, Ernst Hartwig, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, 1990.
Koschorke, Albrecht/Frank, Thomas/Matala de Mazza, Ethel/Lüdemann, Susanne, Der fiktive Staat, Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, 2007.
Lembke, Ulrike (Hrsg.), Regulierungen des Intimen, Sexualität und Recht im modernen Staat, 2017.
Münkler, Laura, Metaphern im Recht: Zur Bedeutung organischer Vorstellungen von Staat und Recht, Der Staat, Bd. 55, Nr. 2 (2016), S. 181-211.
Münkler, Laura/Stenzel, Julia (Hrsg.), Inszenierung von Recht, Funktionen – Modi – Interaktionen, 2019.
Peil, Dietmar, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart. Münstersche Mittelalterschriften, Bd. 50, 1983.